Wenn Handballer nicht mehr wollen

Die Endinger Simon Huwyler und Sven Schafroth hören auf - weil der Wunsch nach Freizeit und die Sorge um Verletzungen überwiegen. Simon Huwyler schwitzt. Kein Wunder, es ist Sommer, die heissen Tage häufen sich. Er sei gerade bei einem Schloss, für die Pause hat er sich ein schattiges Plätzchen ausgesucht, erzählt er am Telefon. Huwyler ist Landschaftsgärtner. An harte körperliche Arbeit bei anstrengenden Temperaturen hat er sich gewöhnt, alles halb so schlimm also. Hier soll es aber nicht um Huwyler, den Landschaftsgärtner gehen. Sondern um Huwyler, den Handballspieler. Den einen gibt es noch, den anderen nicht mehr.

Frederic Härri, AZonline

Aus dem Affekt löst der Abschied Verwunderung aus. Warum beendet einer mit 30 seine Sportlerkarriere? Im scheinbar besten Alter für einen Athleten, wenn sich körperliche Robustheit mit reichhaltiger Spielerfahrung paart. Bei einem Verein wie dem TV Endingen, der zwar unlängst in die Nationalliga B abgestiegen ist, bei dem die Zeichen aber auf Aufbruch stehen. Huwyler, die Stammkraft am Kreis, hätte doch noch einiges beitragen können zum ambitionierten Projekt, das sich Handball Endingen nennt. Er, der vor vielen Jahren der eigenen Juniorenabteilung entsprang, hätte als Führungskraft vorangehen können. Oder nicht?

Irgendwann bemerkt Huwyler Veränderungen bei sich

Einen linearen Erzählstrang, den einen Auslöser für das Ende, den gibt es nicht, das wird im Gespräch mit Huwyler schnell klar. Doch führt alles zu dem einen Satz: «Ich war nicht mehr bereit, meine gesamte Freizeit für den Handball aufzuwenden.»
Voriges Jahr ist Huwyler nach Endingen zurückgekehrt. Zurück nach Hause, nachdem er zwei Jahre bei Wacker Thun verbracht hatte. Huwyler geht mit grossen Zielen in die neue Saison. «Endlich einmal drinbleiben» wollte er, das hatte er noch nie geschafft in all den Jahren in Endingen. Doch früh zeichnet sich ab, dass die Mannschaft nicht konkurrenzfähig sein würde. Dass es nicht reichen würde, die anderen Teams einfach besser sind.

Huwyler fügt sich in die enge Taktung - vorbehaltlos. Morgens um halb sieben aus dem Haus, zur Arbeit, anschliessend ins Training, um halb neun wieder daheim, essen, schlafen gehen. Am Wochenende ein Meisterschaftsspiel, das meistens verloren geht, 24 Niederlagen werden am Ende der Saison in der Negativbilanz des TV Endingen stehen. Wenn die Partien sonntags stattfinden, feilen die Spieler tags zuvor in einer Krafteinheit an der individuellen Fitness.

Allmählich bemerkt Huwyler Veränderungen bei sich, die er einst bei anderen ortete. «Früher», sagt er, «da habe ich mich über die Mitspieler aufgeregt, die wegen eines Samstagstrainings gemotzt haben. Und irgendwann bin ich selber so einer geworden.»

Mit der Zeit fällt Sven Schafroth sogar das Treppensteigen schwer

Sven Schafroth hat es sich nicht leicht gemacht. Immer wieder ist da diese Frage, die ihn umtreibt: Welcher Spieler beendet schon mit 24 Jahren seine Karriere? Sie beschäftigt ihn, obwohl der Entschluss da eigentlich längst gefasst ist: Schafroth will aufhören mit dem Handball. Mit 24. Auch wenn das ungewöhnlich ist.

Schafroth ist ein junger Mann mit strapazierten Knochen, Gelenken und Bändern. Ende 2019 reisst das Syndesmoseband, weitere kleinere Blessuren folgen. Das Knie meldet sich häufiger, als ihm das lieb sein kann. Mit der Zeit fällt ihm das Treppensteigen immer schwerer. Schafroth ahnt, dass sein Körper anfällig ist, «was bestimmt auch mit meiner verschleissvollen Spielweise zu tun hat», wie er sagt.

Bereits in der Vorsaison kommt er ins Grübeln, wie lange er das seiner Gesundheit noch zumuten kann. Vielleicht bis 30 spielen, doch was kommt danach? «Bewegung ist mir wichtig», sagt Schafroth. «Ich will noch mein ganzes Leben lang beschwerdefrei Sporttreiben können.» Dafür, schlussfolgert Schafroth, muss er sich von der zermürbenden Welt des NLA-Handballs verabschieden.

Trennungen sind nie leicht, für niemanden, schon gar nicht, wenn es um den Lieblingssport geht. Gut für Schafroth, dass er Alternativen parat hat. Neben der Handballkarriere hat der Berner BWL studiert und vor kurzem mit dem Bachelordiplom abgeschlossen. Die Zeit als Student habe er genossen, sagt Schafroth. «Du bist einfach viel ausgeglichener, als wenn dein Glück nur vom Handball abhängig ist.»

Trainer Majeri: «Wir verlieren zwei tolle Menschen»

Irgendwann in dieser langen, von Schnelltests und Hygienemassnahmen geprägten Saison ist der Tag schliesslich gekommen. Sven Schafroth und Simon Huwyler öffnen den Verantwortlichen in Endingen ihr Herz und teilen mit, dass sie nicht mehr möchten. Schafroth tut dies am Anfang dieses Jahres, während Huwyler im März das Gespräch sucht und sagt: «Macht ohne mich weiter.»

Die Klubverantwortlichen loten sanft die Möglichkeiten aus, die beiden umzustimmen. Huwyler etwa wird angeboten, den auslaufenden Vertrag zu besseren Konditionen zu verlängern. Ein Angebot, das er ablehnt. «Ich habe nie Handball wegen des Geldes gespielt», sagt Huwyler. Auch Schafroth betont, dass ein paar Franken mehr keinen Unterschied gemacht hätten. Trainer Zoltan Majeri hat den Entscheid seiner Spieler von Anfang an akzeptiert, wie er sagt, obschon er ihn bedauert hat. «Wir verlieren nicht nur zwei richtig gute Spieler, sondern auch zwei tolle Menschen. Diese Kombination findet man nicht so oft.»

Schafroth und Huwyler haben den Zeitpunkt für ihr Karriereende unabhängig voneinander gewählt. Was sie eint, ist der Wunsch, ein normaleres Leben zu führen. «Der Handball gibt dir vieles», sagt Huwyler. Von teilweise Hunderten von Fans bejubelt zu werden, sei schön. Doch es gibt auch die anderen Momente. «Wenn dich an einem sonnigen Samstag Freunde anrufen und dich fragen, ob du mit dem Gummiboot auf die Reuss kommst, und du aber absagen musst, weil du ein Testspiel gegen eine Erstliga-Mannschaft hast, beginnst du dich einmal zu fragen, ob du das wirklich noch willst.» Huwyler nennt weitere Beispiele, er erzählt, wie er am Vorabend mit einem guten Freund Badminton spielen war und danach noch essen ging. Und er realisiert hat: «Das ist schon auch Lebensqualität.»

Sein Pensum als Landschaftsgärtner hat Huwyler inzwischen von 60 auf 90 Prozent erhöht, derzeit arbeitet er Vollzeit, damit er im Winter zusätzliche Ferientage nehmen kann. Wintersport ist zu einem neuen Hobby geworden, was viel mit seinem Abstecher zu Wacker Thun zu tun hat: «Während meiner Zeit im Berner Oberland», sagt Huwyler, «habe ich einen Narren am Skifahren gefressen.»

In der Sonne Costa Ricas, ohne Verpflichtungen

Und Schafroth? Auch er freut sich auf das, was noch kommt. Wenn er nicht schon mittendrin ist, im Leben nach dem Handball. Während des Gesprächs, das wir über Whatsapp führen, setzt die Intemetverbindung dann und wann aus. Schafroth ist in Costa Rica, Ferien mit der Freundin, vier Wochen lang. In der Sonne liegen, ohne Verpflichtungen. «Es ist ein Gefühl, das ich so nicht kenne», sagt Schafroth. «Aber eines, das ich mega geniesse.»

Im Herbst beginnt sein neuer Job, abgesehen von einem Monat Zivildienst hat Schafroth freie Zeit, die er mit kleineren Reisen ausfüllen möchte. Und im Kopf, da ist da nicht diese Leere, von der so häufig die Rede ist, wenn Sportler schlagartig ihren durchgeplanten Alltag verlieren. Schafroth fühlt sich erfüllt, erholt, ohne Reue - und überdies schmerzfrei. «Ich merke, wie es meinem Knie schon besser geht, jetzt, da ich einmal Pause habe.»

Die Tür zum Handball haben sie nicht zugeschlagen, sowohl Schafroth als auch Huwyler nicht. «Wenn sich einer der Kreisläufer bei Endingen schwer verletzen würde, klar, dann springe ich ein», sagt Huwyler, der sich aber nicht aufdrängen will.
Auch Schafroth schliesst ein Wiedersehen nicht aus: «Wer weiss, vielleicht fehlt mir der Handball ja in einem halben Jahr.» Die Handballschuhe sind im Nu geschnürt. Zwei wie Schafroth und Huwyler wissen das wohl am besten.

 

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